Klageverfahren C-344/22

Versagung des Vorsteuerabzuges im Rahmen der
Betätigung als Kurort

Lebenssachverhalt

Unsere Mandantin betreibt seit 01.01.1997 einen anerkannten körperschaftsteuerrechtlichen Kurbetrieb gewerblicher Art. Gemäß § 4 GemO für Baden-Württemberg wird hierfür eine Kurtaxe erhoben. Da unsere Mandantin umsatzsteuerpflichtige Ausgangsleistungen erbringt, hat sie regelmäßig den Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen geltend gemacht.

Im Rahmen einer Außenprüfung mit anschließenden Änderungsbescheiden vom 20.03.2015 wurde der Vorsteuerabzug teilweise verwehrt. Rechtsbehelfe und Klageverfahren in erster Instanz, um einen vollumfänglichen Vorsteuerabzug zu erkämpfen, blieben erfolglos.

Das FG Baden-Württemberg urteilte am 18.10.2018 (1 K 1458/18), dass die Gemeinde nicht unternehmerisch tätig sei und sich daher kein Vorsteuerabzug ergeben könne. Der Gemeinde den Status als Nicht-Unternehmerin zu verwehren, führe nicht zur größeren Wettbewerbsverzerrung.

In Revision konnte der BFH am 15.12.2021 (XI R 30/19 ) das Verfahren lediglich an den EuGH zur Vorabentscheidung verweisen.

Begründung

In dem vorliegenden Fall ist die Frage strittig, ob die Gemeinde durch den Betrieb verschiedener kurortlicher Einrichtungen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe und damit als Unternehmerin gelte.

Nach unserer Auffassung, ist der Vorsteuerabzug für die Eingangsleistungen vollumfänglich zu gewähren, da diese den Kurbetrieb und somit die wirtschaftliche Tätigkeit als Unternehmerin gewährleisten. Andernfalls würde sich unserer Meinung nach eine Wettbewerbsverzerrung ergeben.

Wirtschaftliche Tätigkeit

Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

Die Gemeinde ist als juristische Person des öffentlichen Rechts nicht weisungsgebunden in Ihrer Tätigkeit als Kurbetrieb und daher selbstständig tätig.

Durch den Leistungsaustausch liegt ebenso die Einnahmenerzielungsabsicht vor (Nutzungsrecht für die kurortlichen Einrichtungen gegen Kurtaxe).

Das nationale Recht (UStG) muss mit der dazugehörigen EU-Richtlinie (Mehrwertsteuersystemrichtlinie) kompatibel sein. Bezüglich der gewerblichen Tätigkeit spricht die Mehrwertsteuersystemrichtlinie von der “wirtschaftlichen Tätigkeit”.

Für die Unternehmereigenschaft gibt die Mehrwertsteuersystemrichtlinie vor, dass eine “wirtschaftliche Tätigkeit” vorliegen müsse, wobei darunter alle Arten des Handels, sowie der Dienstleistungen fallen Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Dieser Artikel konkretisiert die wirtschaftliche Tätigkeit insofern, dass hierbei Nutzungen von nicht körperlichen Gegenständen einbezogen sind. Die Kureinrichtung fällt unter diese Regelung, da es sich um ein Nutzungsrecht handelt, von welchem Besucher Gebrauch machen.

Des Weiteren handelt es sich um eine nach Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL genannte Dienstleistung, da es sich nicht um eine Lieferung eines Gegenstandes handelt, sondern die Gewährung eines Nutzungsrechts.

Für den Tatbestand der wirtschaftlichen Tätigkeit ergebe sich außerdem nach ständiger Rechtsprechung, dass der Leistungsaustausch gleichwertig entgeltlich erfolge und der bestimmte Verbraucher einen konkreten Vorteil aus der Leistung ziehe.

Entgeltlichkeit

Die gewerbliche Tätigkeit der Gemeinde ist wirtschaftlich, da der Kurbetrieb Leistungen erbringt, die über die bloße Entgeltentrichtung hinausgehen und er somit seinen Erhalt und Fortbestand gewährleisten kann. Dieses Handeln greift in den Tatbestand der Nachhaltigkeit. Die Einnahmenerzielungsabsicht (Erhebung der Kurtaxe) muss auf Dauer angelegt sein. Hiervon ist auszugehen, da der Kurbetrieb seit mehreren Jahren besteht, planmäßig und mit Wiederholungsabsicht erfolgt.

Der Vorsteuerabzug setzt voraus, dass eine Eingangsleistung existiert, die im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Ausgangsleistung steht. Hierfür muss mitunter eine wirtschaftliche Tätigkeit zur Erbringung dieser Ausgangsleistung vorliegen Art. 2 Abs. 1 a) und c) MwStSystRL. Hierbei ist fraglich, ob die Zahlung der Kurtaxe als Gegenleistung für die Nutzung der Dienstleistung (Nutzungsrecht der kurortlichen Einrichtung) gesehen werden kann. Eine solche Gegenleistung liegt immer dann vor, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen Leistendem (Gemeinde) und einem identifizierbaren Leistungsempfänger (Besucher) besteht, und eine gegenseitige Leistung ausgetauscht wird. Für den Leistungsempfänger muss sich hierfür ein tatsächlicher Gegenwert bzw. ein Vorteil gegenüber der Allgemeinheit ergeben.

Die bezogenen Eingangsleistungen der Gemeinde müssen zum vollständigen Vorsteuerabzug führen, da diese zur Erbringung einer entgeltlichen Leistung führen. Die entgeltliche Leistung liegt im Nutzungsrecht der kurortlichen Einrichtung durch die Besucher. Insofern kann die Kurtaxe in einem unzweifelhaften Zusammenhang mit dem Nutzungsrecht gestellt werden, da dieses ohne Zahlung nicht gewährt werden könnte. Fazitär ist somit bisher festzuhalten, dass eine entgeltliche Gegenleistung für die Erbringung einer Dienstleistung besteht. Außerdem hat der Unternehmer (Gemeinde) die Kureinrichtung mit dem Ziel errichtet, eine Kurtaxe zu erheben und zukünftig auch zu erhalten und zu modernisieren. In diesem Fall würde die Versagung des Vorsteuerabzugs gegen den Grundsatz der Verwendungsabsicht nach A 15.12 Abs. 1 S. 5 UStAE verstoßen.

Der BFH ist der Meinung, dass keine Entgeltlichkeit gegeben sei, wenn Pflichtbeiträge vorlägen und bezieht sich dabei auf das Verfahren “Apple & Pear Development”. Dieses Verfahren ist unserer Meinung nach nicht einschlägig, da Gebühren erhoben wurden, die grundsätzlich jedem Apfel- oder Birnenbauer als Subvention zugutekommen konnten, d.h. die Pflichtbeiträge bezogen sich auf die ganze Branche statt auf einzelne Bauern. Für wen genau eine Subvention erfolgte, war bei der Zahlung der Pflichtbeiträge nicht absehbar.

Unsere Mandantin erhebt allerdings ihre Kurtaxe für einzelne kurtaxpflichtige Personen, die gemäß GemO zur Zahlung verpflichtet sind.

Konkreter Vorteil bestimmter Abnehmer

Weiterhin stellt der BFH zurecht mit seinem Vorabentscheidungsersuchen fest, dass ein verbrauchsfähiger Vorteil beim Leistungsempfänger (Besucher) vorliegen müsse. Als problematisch werde hierbei die kostenlose Nutzung der Kureinrichtung durch die Allgemeinheit gesehen.

Festzuhalten ist jedoch, dass diese Randgruppe, welche als Allgemeinheit bezeichnet wird, nur einen Bruchteil der Besucher darstellt (Einwohner der Gemeinde). Es ist richtig, dass in einem solch gelagerten Fall der Leistungsempfänger nicht identifizierbar wäre und mit diesem ebenfalls kein Rechtsverhältnis geschlossen würde.

Jedoch erhebt unser Mandant für die überwiegende Mehrheit der Nutzer der kurortlichen Einrichtung eine Kurtaxe. Diese bestimmten Abnehmer können einen konkreten Vorteil daraus erhalten, dass Ihnen eine funktionsfähige Kureinrichtung geboten wird, die den gesundheitlichen Anforderungen entspricht.

Der Heilverband Baden-Württemberg e.V. stellt regelmäßig seine Flyer zur Verfügung, aus denen die statistischen Zahlen der Besucher hervorgehen. In 2018 waren es alleine 1,9 Mrd. Übernachtungsgäste und 1,5 Mrd. Tagesgäste. Unserer Meinung nach – bei einer Einwohnerzahl von ca. 12 Millionen in Baden-Württemberg – eine beachtliche Zahl an Personenbewegungen.

Wir sehen das Argument als haltlos an, dass sich die Gemeindebewohner der Kurtaxe entziehen können und dadurch eine Ungleichbehandlung entstehe, welche eine direkte Zuweisung an einen bestimmten Abnehmer verhindere. Die Bewohner der Gemeinde leisten bereits Ihren Beitrag zur Kureinrichtung über die Gemeinschaftsteuern (LSt, USt, etc.), welche die Gemeinde bei der Bewirtschaftung der Kurorteinrichtung finanziell unterstützen.

Gleichwertigkeit der Leistungen

Die Gleichwertigkeit des Leistungsaustausches ist für die Begründung eines Rechtsverhältnisses notwendig. Gemäß der  Satzung der Gemeinde ist eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag zu zahlen. Hieraus resultiert demnach eine Gegenleistung durch die Zahlung des Leistungsempfängers. Durch die flächendeckende Erhebung der Kurtaxe ist diese Gleichwertigkeit gewährleistet, da davon auszugehen ist, dass ein Besucher der Kurorteinrichtung diese auch bezahlt hat. Sich auf eine Minderzahl von Besuchern zu berufen, die eine solche Kurtaxe nicht entrichtet haben, würde die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung hervorbringen, welche weder wirtschaftlich vertretbar noch rechtssicher wäre.

Fazit

Die Gemeinde ist als Unternehmerin zu sehen gemäß § 2 Abs. 1 und 3 UStG. Diese Schlussfolgerung ist unserer Meinung nach ebenso unionsrechtskonform und die wirtschaftliche Tätigkeit zu bejahen. Demnach hat die Gemeinde einen vollumfänglichen Vorsteuerabzug für Ihre Eingangsleistungen erhalten.

Wettbewerbsverzerrung

Sollte der Gemeinde der Unternehmerstatus versagt werden und somit auch der Vorsteuerabzug für Ihre bezogenen Eingangsleistungen, liege unseres Erachtens eine Wettbewerbsverzerrung vor und daher eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.

Ungleichbehandlung

Unsere Mandantin hat bereits im Vorverfahren erklärt, dass sich in unmittelbarer Nähe (10 km Radius) weitere Kurort befinden, deren Kurbetrieb sich durch Körperschaften des Privatrechts (GmbH) betreiben lassen. Das Versagen des Vorsteuerabzugs würde zu einer wirtschaftlichen Diskrepanz zwischen der Regionen führen.

Deckung von Bedürfnissen

Der Fakt, dass sich kurortliche Einrichtungen ebenso durch private Anbieter betreiben lassen, lässt keinen Zweifel daran, dass auch diese Anbieter die Bedürfnisse erfüllen können. Die Befriedigung der Bedürfnisse lediglich auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaften abzuwälzen, ist eine vage Behauptung. Weiterhin schränke dies die betriebswirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Gebietskörperschaften ein, was einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil für alle Gemeinden bedeuten würde.

Isle of Wight Council & Parkplatzgebühren - Raum des Wettbewerbs

Das BFH bezieht sich in seiner Vorabentscheidung auf das Verfahren des Isle of Wight Council. Einige Gemeinden wollten sich für das Zurverfügungstellen von Parkplätzen von der Umsatzsteuer befreien lassen. Das Gericht erster Instanz hat dies bejaht und darauf abgestellt, dass den Behörden nach Einzelfallprüfung hinsichtlich der Wettbewerbsverzerrung eine Umsatzsteuerbefreiung auf die Parkplatzgebühren zu ermöglichen sei.

Dieser Entscheidung konnte der EuGH in nachfolgender Instanz nicht zustimmen. Eine Wettbewerbsverzerrung könne nicht alleine anhand von Bezirken, also auf der Ebene einzelner lokaler Märkte entschieden werden, sondern müsse auf der Ebene des Staatsgebietes erfolgen.
Weiterhin sei nach Auffassung des EuGH die steuerliche Neutralität und Rechtssicherheit verletzt, da der Tatbestand der Wettbewerbsverzerrung in seiner komplexen wirtschaftlichen Analyse laut der Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuergesetzes nicht vorgesehen ist. Aus diesem Grund verbietet es sich, die von der Vorinstanz vorgenommene Wettbewerbsverzerrung auf den Raum der Gemeinde zu beschränken. Vielmehr muss eine Prüfung der Tätigkeit dem Grunde nach bezüglich der Versagung der Unternehmereigenschaft erfolgen und ob diese schlussendlich zu einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb dieser führt – gänzlich ohne Betrachtung des räumlichen Aspekts.
In Anbetracht der Tatsache, dass es im Bundesgebiet mehrere privatrechtliche Einrichtungen gibt, die einer Tätigkeit als Kurorteinrichtung im Rahmen Ihrer Eigenschaft als Unternehmer nachgehen und diesen dadurch die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug gewährt wird, würde die Versagung der Unternehmereigenschaft unseres Mandanten zu einer groben Ungleichbehandlung führen. 

Außerdem beschreibt Art. 4 Absatz 5 der sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, eben jenen Fall, dass Gebietskörperschaften zur USt herangezogen werden, damit es keine Wettbewerbsverzerrung gäbe.

Wir verweisen weiterhin darauf, dass das FG Baden-Württemberg keine besonderen Ermittlungen vorgenommen hat, um die Wettbewerbsverzerrung gutachterlich zu untersuchen, wonach Ihre Behauptungen hinsichtlich dieses Tatbestandes noch nebulös sind. 

Fazit

Wie man erkennen kann, würde mit der Versagung der Unternehmereigenschaft und der damit eingehergehenden Versagung des Vorsteuerabzugs eine gravierende Wettbewerbungsverzerrung vorliegen.

Sollte unserem Antrag durch Urteil nicht entsprochen werden, beantragen wir unverzüglich die Begutachtung des Tatbestandes der Wettbewerbsverzerrung in unserem Fall.

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